Sonntag, 16. Juni 2013

SOFIA COPPOLAS THE VIRGIN SUICIDES: DREIFACHE ISOLATION

Leslie Hayman, Kirsten Dunst, A.J. Cook & Chelse Swain in The Virgin Suicides (Coppola, USA 1999, Capelight Pictures)
Meine Bachelor-Arbeit ist beinahe fertig und irgendwie muss ich im Thema bleiben, bevor meine mündliche Prüfung im August stattfindet. Wie praktisch, dass ich einen Blog betreibe, den ich quasi missbrauchen kann, um meine Gedanken hier noch einmal in weniger ausführlicher Form zusammenzutragen. Da müsst ihr jetzt alle durch.

Sofia Coppola benutzt das Kostümdesign in ihren Spielfilmen, um ihre Protagonisten von den übrigen Figuren der Filme abzuheben und sogar zu isolieren, das ist die These meiner Arbeit. Dazu untersuche ich die Filme The Virgin Suicides, Lost in Translation und Marie Antoinette, denn die tatsächlich sehr modeaffine Regisseurin betrachtet diese drei Werke als lose zusammenhängende Trilogie.

Zuerst also The Virgin Suicides, ein strukturell sehr komplexer Film, in dem die fünf Töchter der Familie Lisbon von ihren Eltern von der Außenwelt ferngehalten und eingesperrt werden. Neben dieser Isolation auf der Ebene der Filmhandlung sind die Schwestern, so argumentiere ich, aber noch auf zwei weiteren Ebenen isoliert: auf den Ebenen der Narration und der Rezeption.

Leslie Hayman, Kirsten Dunst, A.J. Cook & Chelse Swain in The Virgin Suicides (Coppola, USA 1999, Capelight Pictures)
Die fünf Mädchen in The Virgin Suicides sind zwar die Hauptfiguren, es bleibt ihnen jedoch verwehrt, ihre Geschichte aus der eigenen Perspektive zu erzählen. Stattdessen erzählen die Nachbarjungs die Story 25 Jahre nach den Geschehnissen aus ihrer Erinnerung. Die Lisbon-Schwestern werden somit auf der Ebene der Narration gewissermaßen isoliert und ihrer Identität beraubt, sie werden zu Objekten männlicher Begierde degradiert. Die Kostüme spiegeln diese Beobachtung in vielfacher Weise.

Die Nachbarjungs beschreiben Szenen, die sie in keiner Weise miterlebt haben können, so wie den Besuch des Paters auf dem obigen Foto. Nicht nur hier erscheinen die Mädchen im Haus permanent in freizügiger Unterwäsche, in Shorts und weiten Nachthemden, die wie im Still kunstvoll um ihre Körper herumdrapiert sind und in Verbindung mit erotisch konnotierten Posen alles andere als unschuldig wirken. Es erscheint auch durchaus plausibel, dass die fünf Lisbon-Schwestern nur der optische Wunschtraum testosterongesteuerter Jungs sind, die sich auch Jahrzehnte später nicht von ihrer pubertären Fantasie lösen können und ihrer verlorenen Jugend hinterhertrauern.

Hanna Hall in The Virgin Suicides (Coppola, USA 1999, Capelight Pictures)
Eine ähnliche Funktion erfüllt in The Virgin Suicides das Kleid von Cecilia. Egal in welcher Situation und bei welchem Anlass - sie trägt immer das gleiche beigefarbene Spitzenkleid. Ungewöhnlich für einen weiblichen, dreizehnjährigen Teenager. Selbst nach ihrem Selbstmord erscheint sie den Nachbarjungs in deren Träumen noch in dem Kleid und nährt damit die These: dieses Mädchen ist eine reine Imagination. 

Zudem lässt sich das Kleid ähnlich wie das suburbane Setting als Metapher für die verlorene Jugend lesen. Ich selbst habe in einem ganz ähnlichen Kleid als Kind Prinzessin gespielt und bin damit sicher nicht allein. Gleichzeitig zeigt das Kostüm Abnutzungserscheinungen, die Farbe ist ausgewaschen und verströmt einen morbiden Charme. Kindheit und Jugend - sie gehen unaufhaltsam dem Ende zu.

Kirsten Dunst in The Virgin Suicides (Coppola, USA 1999, Capelight Pictures)
Noch eine Szene zeigt die Objektifizierung der Mädchen. Lux schreibt die Namen ihrer Schwärme auf ihrer Unterwäsche, Kleidung ist für sie also ein wichtiges Mittel zur Findung ihrer Identität. Dieses intime Detail enthüllt sie allerdings niemals selbst. Die Nachbarjungs lesen darüber im geheimen Tagebuch Cecilias und sie zeigen es sogar, indem sie uns beiläufig unter ihr Ballkleid schauen lassen. 

Viele andere Szenen lassen sich auf diese Weise interpretieren, darauf verzichte ich jedoch, denn ein zweites Mal will ich meine BA-Arbeit ehrlich gesagt nicht schreiben. Dafür will ich noch ein paar Worte über die Ebene der filmischen Handlung verlieren. 

Kathleen Turner und James Woods in The Virgin Suicides (Coppola, USA 1999, Capelight Pictures)
Es ist ziemlich offensichtlich: was die Kostüme angeht, ist das Ehepaar Lisbon als das ganze Gegenteil zu den Töchtern angelegt. Während die Schwestern meist in weiten Nachthemden durch die Gegend springen, sehen wir Mrs. Lisbon nur in strengen Cocktailkleidern, beige, hochgeschlossen, und die Kreuzkette um ihren Hals besiegelt ihr erzkonservativ anmutendes Äußeres. Mr. Lisbon hingegen erfüllt mit braunen Anzügen, karierten Hemden und Filzpartoffeln das ältliche Mathelehrerklischee. 

Klar, dass sich diese beiden auch dazu genötigt fühlen, das Leben ihrer Kinder bis ins kleinste Detail zu maßregeln. Die Ballkleider sind dabei nur ein Aspekt von vielen. Die Lisbon-Schwestern dürfen auf den Schulball gehen und suchen sich Kleider aus, die ihre Mutter nicht gutheißt: „It didn’t make any difference which pattern of their dream dresses every girl each chose. Mrs. Lisbon added an inch to the bust line and two inches to the waist and hem. And the dresses came out as four identical sacks,” erzählen die Nachbarjungs. Den Mädchen wird also auch auf der Handlungsebene die Möglichkeit genommen, ihre eigenen Geschmäcker, ihre Einstellungen, eben ihre Identität mithilfe von Kleidung auszudrücken.

Leslie Hayman, Kirsten Dunst, A.J. Cook & Chelse Swain in The Virgin Suicides (Coppola, USA 1999, Capelight Pictures)
Auf insgesamt drei Ebenen sind die Lisbon-Schwestern in The Virgin Suicides also isoliert - auf der Handlungsebene von einem normalen Teenagerleben, auf der Narrationsebene und auf der Ebene der Rezeption. Die Kostüme im Film illustrieren diese These mehrfach.

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