Freitag, 15. Februar 2013

BERLINALE 2013: REACHING FOR THE MOON ERZÄHLT VON DER LIEBE

Miranda Otto und Glória Pires in Reaching for the Moon (Barreto, Br 2013, The Film Consultancy)
Mein zweiter Berlinalebesuch begann mit Gelächter im Saal, denn vor der ersten Einstellung wollten die Logos der vielen Produzenten und brasilianischen Sponsoren kein Ende nehmen. Knappe zwei Stunden später wusste ich, wieso. Reaching for the Moon (Flores Raras) ist die beste Werbung, die Rio bekommen kann.

Der Film des Brasilianers Bruno Barreto erzählt die Geschichte einer der einflussreichsten Lyrikerinnen der Moderne: Elizabeth Bishop. Um ihrem uninspirierenden Alltag zu entfliehen, besucht die New Yorkerin ihre Studienfreundin Mary in Rio de Janeiro. Was sie dort findet, ist ihre große Liebe. Mit der Architektin Lota de Macedo Soares lebt sie fortan zusammen und schreibt ihr Gedichtband, für das sie sogar den Pulitzer Preis erhält.

Szene aus Reaching for the Moon (Barreto, Br 2013, The Film Consultancy)
Zugegeben - in den ersten Minuten irritierte mich die Optik des Filmes. Es sah einfach alles etwas zu sehr nach Hochglanzkatalog aus. Das eigentlich so staubige Rio wirkte in den ersten Einstellungen wie eine Art mediterranes Ostseebad, und dank des illustren Freundeskreises aus einwandfrei gekleideten Designern und Politikern fühlte ich mich für einen Augenblick zurückversetzt in die vierte Staffel von Sex and the City. Damals bandelte Samantha mit einer brasilianischen Künstlerin an, jetzt war es eben Elizabeth Bishop - so what?

Miranda Otto und Glória Pires in Reaching for the Moon (Barreto, Br 2013, The Film Consultancy)

Dann kam Reaching for the Moon aber in Gang, und ich warf meine Vorbehalte schnell über Bord. Das üppige Grün des tropischen Urwaldes und die puristisch geschwungenen Linien der brasilianischen 50er-Jahre Architektur waren einfach zu schön anzusehen. Noch dazu habe ich lange keine so sanft und gleichzeitig facettenreich erzählte Liebesgeschichte, lange keinen so berührenden Filmkuss mehr gesehen. Die eigentliche Stärke des Filmes sind aber seine unglaublich differenziert gezeichneten Figuren.

Miranda Otto in Reaching for the Moon (Barreto, Br 2013, The Film Consultancy)
Miranda Otto spielt die Pulitzer Preisträgerin Elizabeth Bishop, die gerade zu Anfang des Filmes zurückhalten und wie ein ätherischer Fremdkörper inmitten der südamerikanischen Lebensfreude wirkt. Mit der Zeit taut sie auf, legt ihre Schüchternheit ab und beginnt, wunderschöne Poesie zu verfassen. Ihre Gedichte stehen im Zentrum, ihre persönliche Entwicklung ist damit aber nicht abgeschlossen. "I'm crying the English way", nennt sie es, als Lota sie wieder eines Morgens am Schreibtisch schlafend entdeckt, noch das halb gefüllte Glas Whisky in der Hand.

Tracy Middendorf in Reaching for the Moon (Barreto, Br 2013, The Film Consultancy)
Tracy Middendorf schließlich spielt Elizabeths ehemalige Collegefreundin Mary. Sie vereint auf sonderbare, im Film jedoch ganz selbstverständlich wirkende Weise zwei Lebensentwürfe. Um frei ihre Beziehung leben zu können, akzeptiert sie das Zerwürfnis mit ihren Eltern. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, will sie eine eigene Familie, ein eigenes Kind. Man will sie manchmal hassen, diese zutiefst ambivalente Figur, die es versteht, in den falschen Momenten aufzutauchen und aktiv zu werden - aber man schafft es nicht. 

Glória Pires in Reaching for the Moon (Barreto, Br 2013, The Film Consultancy)
Reaching for the Moon ist ein Biopic über Elizabeth Bishop - der eigentliche Star ist aber, so viel steht fest, Glória Pires in der Rolle der Archtiketin Lota de Macedo Soares. Der berühmte Parque do Flamengo in Rio de Janeiro ist das Projekt, in das die Autodidaktin all ihre Kräfte steckt. Rauhe Schönheit verbindet sich mit nahezu übermenschlichem Selbstbewusstsein und formt die faszinierende Figur der Donna Lota, die einfach alles will: die Beziehung mit Bishop genau wie die Familie mit Mary.

Miranda Otto und Glória Pires in Reaching for the Moon (Barreto, Br 2013, The Film Consultancy)
Reaching for the Moon hat sicher manche Schwächen aufzuweisen. Die zweite Hälfte des Films ist an der ein oder anderen Stelle einen Tick zu langatmig geraten. Barretos Werk ist auch kein offen feministischer Film, ja, trotz der Hintergrundstory um den rechten Militärputsch in Brasilien nicht einmal ein politischer Film. Das will er aber auch gar nicht sein. Dafür zeichnet er in opulenten Bildern und liebevollen Nuancen die Portraits von außergewöhnlichen Frauen, die man am liebsten über die Laufzeit des Filmes hinaus weiter begleiten würde. Flores Raras eben.

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