Dienstag, 12. Februar 2013

BERLINALE 2013: GEFÜHLSPARANOIA IN DESHORA

María Ucedo, Alejandro Buitrago & Luís Ziembrowski in Deshora (Sarasola-Day 2013, Ar/Ko/No, Rendez-vous Pictures)
Endlich war es gestern für mich so weit, ich durfte meinen etwas verspäteten, diesjährigen Berlinale-Einstand feiern. Das Warten hat sich gelohnt, denn mit den Karten zu Deshora (Belated) von Bárbara Sarasola-Day habe ich einen wirklichen Glücksgriff gelandet. Als Abwechslung zum eisigen Berliner Februar hoffte ich auf wärmende Impressionen des argentinischen Sommers. Was ich bekam, war ungleich besser.

Helena und Ernesto führen ihre 08/15-Ehe in einer Bilderbuchkulisse: auf einer Tabakfarm im immergrünen Nordwesten Argentiniens, abgeschnitten vom schnellen Stadtleben. Um nach einem Drogenentzug etwas Ruhe zu finden, kommt Helenas junger Cousin Joaquín eine Weile auf die Farm. An dieser Stelle zieht der Debütfilm von Sarasola-Day unerbittlich hinein in einen Malstrom der verbotenen Gefühle, denn was sich bald andeutet, wird nur allzu schnell sichere Gewissheit: Nicht nur Helena fühlt sich nach Jahren der Leidenschaftslosigkeit zu dem jungen Joaquín hingezogen, sondern auch ihr Mann Ernesto. 

Alejandro Buitrago & Luís Ziembrowski in Deshora (Sarasola-Day 2013, Ar/Ko/No, Rendez-vous Pictures)
Bárbara Sarasola-Day, 1976 geboren, wuchs in einer argentinischen Provinz auf, in der ihren eigenen Worten zufolge Konservatismus für die Lebenseinstellung der meisten Menschen gar kein Ausdruck ist. Den Widerspruch zwischen den perfekten Abziehbildern mustergültiger Kleinfamilien und den oft gefährlichen Begierden im Hintergrund wollte sie in ihrem Werk abbilden, ein Spagat, der ihr gelingt. Es sind nicht die romantischen Gefühle, die in dieser verkappten Dreiecksbeziehung im Vordergrund stehen, sondern das Versteckspiel, das alle Beteiligten versuchen, voreinander wie vor sich selbst aufrecht zu erhalten. Aber Emotionen suchen sich nun einmal ihren Weg.

María Ucedo in Deshora (Sarasola-Day 2013, Ar/Ko/No, Rendez-vous Pictures)
Um in die Psyche ihrer Figuren einzutauchen, bleibt die Regisseurin mit ihrer Kamera ganz nah dran. Detailaufnahmen, Nahen und Point-of-View-Shots bringen uns Figuren und Umgebung näher, auf klärende Establishing Shots verzichtet sie fast vollständig. Der Plan geht auf, denn das eingeschränkte Gesichtsfeld rückt den Zuschauer nicht nur in die Rolle des Voyeurs, sondern sorgt gleichzeitig auch für eine ausgewachsene Gefühlsparanoia. Bin nur ich es, der den Figuren ihre Gefühle andichtet, oder geht auf der Leinwand wirklich das vor, was da vorzugehen scheint?

Luís Ziembrowski & Alejandro Buitrago in Deshora (Sarasola-Day 2013, Ar/Ko/No, Rendez-vous Pictures)
Deshora ist ein gelungenes Beispiel für einen Film, in dem auf wunderbare Art Form und Inhalt korrespondieren. Einzig die für Indiefilme obligatorische Wackelkamera stresst von Zeit zu Zeit ein wenig die Augen. Ansonsten beunruhigt ganz effektvoll die Gewissheit, dass außerhalb des engen Bildkaders noch so viel vor sich geht, dass ungesehen bleibt. Viel mehr Story als vorhanden täte dem Film bei einer derart dichten, angespannten Atmosphäre tatsächlich kein Gefallen.

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