Samstag, 26. Januar 2013

LAIENDARSTELLER SIND AUCH NUR ANGESTELLTE

Titeleinschub von Menschen am Sonntag (Siodmak/Ulmer/Zinnemann, D 1930, The Criterion Collection)

Was der Titeleinschub des Filmes aus dem Jahre 1930 ankündigt, ist genau der Aspekt, der ihn so besonders macht. Menschen am Sonntag zeigt vier junge Menschen aus Berlin, die im Grunde einfach sich selbst spielen. Nur wenige Jahre nach dem Film veröffentlichte der Soziologe und Filmtheoretiker Siegfried Kracauer sein Essay "Die Angestellten", in dem er eben jene Bevölkerungsgruppe Berlins genauer unter die Lupe nahm. Ich finde, wer bei Kracauer Verständnisprobleme hat - sollte sich einfach Menschen am Sonntag ansehen.

Die Angestellten haben es laut Kracauer nicht leicht, gehören sie doch zu einer riesigen gesichtslosen, geistig obdachlosen und ideologisch heimatlosen Masse. Die gebeutelten Arbeiter können sich immerhin noch auf Marx berufen, aber die Angestellten? Niemand steht für sie ein, und auch Menschen am Sonntag zeigt sie als Menge ohne Charakter. Nicht einmal die vier Protagonisten werden psychologisiert - sie sind austauschbar.

Szene aus Menschen am Sonntag (Siodmak/Ulmer/Zinnemann, D 1930, The Criterion Collection)
Die Angestellten in Kracauers Essay führen ein trostloses Leben. So eng wie ihre Wohnungen sind letztlich meist auch ihre Horizonte. Sie fügen sich in das übermächtige System und verfolgen spießbürgerliche Ideale. Der nur selten schwach aufkeimende Protest wird selbstredend auch ihre Situation nicht verändern.

Szene aus Menschen am Sonntag (Siodmak/Ulmer/Zinnemann, D 1930, The Criterion Collection)
Heilig ist den Angestellten mit der knapp bemessenen Freizeit ihr Wochenende, an dem sie Zerstreuung vom elenden Alltag suchen. Weil sie nach gesellschaftlichem Leben lechzen, zieht es sie immer wieder in die Kaufhäuser, Cafés und Lokale, in denen sich auch die Bourgeoisie aufhält. Je exotischer der Anschein, desto besser. Schade nur, dass es mit all der Exotik stets bei einer Illusion bleibt, die die Angestellten hübsch unbemerkt in ihre Schranken weist.

Szene aus Menschen am Sonntag (Siodmak/Ulmer/Zinnemann, D 1930, The Criterion Collection)

Wenn nicht das Lokal, dann lockt eben das Berliner Umland mit seinen vielen idyllischen Naherholungsgebieten. Auch in Menschen am Sonntag zieht es unsere zwei jungen Paare zum Picknick an den Wannsee. Raus aus der gleichförmig städtischen Architektur der Neuen Sachlichkeit, denn die bietet schließlich auch wieder nur eine - na, was wohl? Eine Fassade.

Szene aus Menschen am Sonntag (Siodmak/Ulmer/Zinnemann, D 1930, The Criterion Collection)
Die Berliner Seen laden natürlich nicht nur zum Faulsein ein, sondern auch zur körperlichen Betätigung. An dieser Stelle wird mir Kracauer wesentlich sympathischer - denn Sport verurteilt er als eine Entpolitisierung der Massen. Er bietet nicht nur Zerstreuung, sondern bringt auch noch die Anerkennung, die der gemeine Angestellte im Alltag nur allzu oft vermisst.

Szene aus Menschen am Sonntag (Siodmak/Ulmer/Zinnemann, D 1930, The Criterion Collection)

Wir kennen das alle. Irgendwann ist auch das schönste Wochenende mal vorbei - der Angestellte begibt sich zurück in die ewig wassertretenden Mühlen des Alltags. Das machen auch die Zwischentitel am Ende von Menschen am Sonntag schmerzlich bewusst. Wieder Alltag. Es beginnt das kollektive Warten auf den nächsten Sonntag. Er wird kommen. Und noch einer und noch einer und...

Zwischentitel aus Menschen am Sonntag (Siodmak/Ulmer/Zinnemann, D 1930, The Criterion Collection)

1 Kommentar:

  1. Sport als Entpolitisierung! Witziger Gedanke. Ich verstehe zwar den Zusammenhang, trotzdem würde ich das anders auslegen: Wer sein Workout macht, kann auch besser denken. Das Gehirn ist auch nur ein Organ, was durchblutet und mit Nährstoffen versorgt werden muss.
    "In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist."

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