Montag, 14. Januar 2013

MERRY LATE FUCKING CHRISTMAS

Nicole Kidman und Gary Goba in Eyes Wide Shut (Kubrick, UK/USA 1999, Warner Bros.)














Weihnachten ist vorbei - dem Himmel sei Dank. Und deswegen ist auch genau jetzt der richtige Zeitpunkt für Eyes Wide Shut. Zwar spielt der Film in einem Setting voller blinkender Girlanden, trotzdem kenne ich keinen drastischeren Anti-Weihnachtsfilm dieses Niveaus.

Stanley Kubrick überließ in seinen Filmen nicht auch nur ein einziges Detail dem Zufall - allein der Dreh seines finalen Werkes dauerte 400 Tage. Beim letzten Schauen fiel mir dann auch prompt ein bestimmtes Detail ganz besonders ins Auge: in beinahe jeder Szene steht der selbe geschmückte Weihnachtsbaum. Auf Anhieb bin ich aus diesem Symbol nicht ganz schlau geworden - und deswegen habe ich mich ein wenig auf Online-Recherche begeben. Mal sehen, was anderen klugen Menschen zu den Weihnachtsbäumen einfällt.

Szene aus Eyes Wide Shut (Kubrick, UK/USA 1999, Warner Bros.)
Auf der einen Seite gibt es da die ganz banal technische Variante. Das diffuse Licht der Weihnachtsbäume erlaubte Kubrick, glaubhaft eine künstlich warme Lichtstimmung in den Innenräumen zu schaffen, die er zum kalten bläulichen Licht in den Außenaufnahmen in Kontrast setzen konnte. Gleichzeitig ist der Baum nie wärmendes Zentrum der Räume, sondern drückt sich stets in der Peripherie herum, wirkt wie ein deplatzierter Fremdkörper. Fast störend glimmt er auf dem besonders lichtempfindlichen Film, den Kubrick für seine Arbeit nutzte - denn der ließ das ganze Bild gleich viel traumhafter und beinahe impressionistisch wirken.

Szene aus Eyes Wide Shut (Kubrick, UK/USA 1999, Warner Bros.)


























Apropos filmische Mittel. Wir hören in Eyes Wide Shut weder weihnachtliche Musik, noch vermittelt der Film auch nur einen Ansatz von heimeliger Adventsstimmung. Abgesehen von Mitteln der Lichtsetzung ist der Baum aber nun mal das wohl aufdringlichste Symbol für die Weihnachtsfeierlichkeiten. Kubrick füllt die glanzvolle Fassade nicht mit Leben, feiert kein sprichwörtliches Fest der Liebe. Genausowenig die Protagonisten, deren scheinbar mustergültige Ehe ebenfalls eher einer glänzenden Fassade gleicht.

Vinessa Shaw und Tom Cruise in Eyes Wide Shut (Kubrick, UK/USA 1999, Warner Bros.)


























Ähnlich argumentiert in seiner Kritik auch der Feuilletonist Lee Siegel, der im Harper's schrieb: "Compared with the everyday reality of sex and emotion, our fantasies of gratification are, yes, pompuous and solemn in the extreme... For desire is like Christmas: it always promises more than it delivers."

Marie Richardson in Eyes Wide Shut (Kubrick, UK/USA 1999, Warner Bros.)




















In Eyes Wide Shut finden sich die geschmückten Tannen in jedem Innenraum - mit Ausnahme der Somerton Mansion, in der die mystisch ritualisierte Orgie stattfindet. Auch der christlich assoziierte Weihnachtsbaum ist ursprünglich nur ein heidnischer Kult. Im Gegensatz zu den zügellosen Riten im Inneren der Somerton Mansion wurde er aber vom Christentum adaptiert und, noch viel wichtiger, von der Gesellschaft akzeptiert. Kein Wunder also, dass er in der rechtsfreien Zone dieser Parallelgesellschaft keinen Platz findet.

Todd Field und Tom Cruise in Eyes Wide Shut (Kubrick, UK/USA 1999, Warner Bros.)




















Wer Eyes Wide Shut gesehen oder vielleicht sogar Arthur Schnitzlers zugrunde liegende Traumnovelle gelesen hat, weiß: wahrscheinlich ist sowieso alles nur ein Traum. Vielleicht sprechen dafür auch die Worte von Nicole Kidmans Figur. Nicht nur am Ende des Films, sondern zugleich auch als letzte Worte im Gesamtwerk von Kubrick, der noch vor Veröffentlichung von Eyes Wide Shut starb. Also, wie war das noch?

Sie: "I do love you and you know there is something very important we need to do as soon as possible."
Er: "What's that?"
Sie: "Fuck." 

Wie gesagt, der Mann überließ eben nichts dem Zufall. 

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