Samstag, 6. Juli 2013

AUSBRUCH AUS DER ISOLATION IN MARIE ANTOINETTE

Kirsten Dunst in Marie Antoinette (Coppola, USA/FR/JP 2006, SPHE)
Marie Antoinette ist wohl der Film von Sofia Coppola, der das Stilmittel des Costume Designs am deutlichsten einsetzt - denn schließlich handelt es sich dabei um einen Kostümfilm. Aber neben dieser offensichtlichen Funktion setzen die Regisseurin und ihre Kostümbildnerin Milena Canonero die Kostüme auch dazu ein, auf einer sehr viel subtileren Ebene die Isolation, aber auch die fortschreitende Emanzipation der Titelheldin zu illustrieren.

Szene aus Marie Antoinette (Coppola, USA/FR/JP 2006, SPHE)
Zu Beginn des Films kommt die junge österreichische Prinzessin an der Grenze zwischen ihrem Heimatland und Frankreich an, um ihren künftigen Ehemann ein erstes Mal zu sehen. Dabei muss sie eine Art Ritual durchlaufen und all ihren Besitz zurücklassen, um zur Französin zu werden. Als sie ankommt, trägt sie noch ein unschuldig weißes Kleid. Es mutet an wie eine Leinwand, auf die sich alles projizieren ließe. Die junge Marie Antoinette ist unerfahren, schüchtern und hat ihre ureigenste Persönlichkeit noch nicht für sich gefunden. 

Dann muss sie aber in ein extra aufgebautes Zelt, sie wird von fremden Menschen sämtlicher Kleider entledigt, quasi enteignet, und bekommt ein neues Outfit: ein hellblaues, raffiniert dekoriertes Kleid in der neusten französischen Mode. Die Szene zeigt deutlich: ab sofort hat Marie Antoinette keine Gewalt mehr über ihren Körper. Sie ist jetzt Eigentum des französischen Hofes. Eine große blaue Schleife um ihren Hals unterstreicht ihre Objektifizierung. Es ist, als würde nicht eine Frau einen Mann kennenlernen, sondern als würde ein Objekt als Geschenk übergeben.

Szene aus Marie Antoinette (Coppola, USA/FR/JP 2006, SPHE)
Mit der entwürdigenden Übergabezeremonie hat Marie Antoinette die Demütigungen aber noch lange nicht ausgestanden. Im Film wiederholen sich ausladende Ankleidezeremonien - geradezu lächerliche Rituale, bei denen sämtliche Frauen des Hofstaates um die nackte junge Frau versammelt sind, und sich darum kabbeln, wem als Ranghöchste die Ehre zukommt, die Dauphine ankleiden zu dürfen. Sie als die eigentlich Ranghöchste hat dabei am allerwenigsten zu sagen. 

Kirsten Dunst u.A. in Marie Antoinette (Coppola, USA/FR/JP 2006, SPHE)
Dazu kommt für Marie Antoinette ein weiteres Problem: ihr Mann hat kein körperliches Interesse an ihr, doch am fehlenden Thronfolger geben ihr der Hofstaat und ihre Mutter in zahlreichen Briefen die Schuld. Klar, dass die junge Frau eine Art Ventil braucht, um den hohen Druck und die Einsamkeit zu verdrängen. Marie Antoinette stürzt sich in wilde Parties, sie entwickelt ein Interesse für Kunst und Theater und vor allem begeistert sie sich für extravagante Mode. Sie hat Geschmack und reißt das Metier als einzigen Trumpf an sich: ihre anfangs verspielt-mädchenhaften Kleider werden zunehmden raffinierter, dekadente Muster und Rüschen schmücken sie und die Frisur türmt sich immer höher. Marie Antoinette wird zur Stilikone und lebt sich zunehmend aus. Auf einem Maskenball lernt sie schließlich den attraktiven Graf Fersen kennen und wird erstmals auch zwischenmenschlich aktiv. Mit all ihren Verführungskünsten macht sie ihn zu ihrem Liebhaber und führt fortan ein weit entspannteres und ausgelasseneres Leben.

Szene aus Marie Antoinette (Coppola, USA/FR/JP 2006, SPHE)
Szene aus Marie Antoinette (Coppola, USA/FR/JP 2006, SPHE)
Aber auch Marie Antoinette lässt ihre Sturm und Drang-Phase irgendwann hinter sich und wird erwachsen, was sich wiederum in ihrem Kostüm ausdrückt. Sie zieht sich in den Petit Trianon zurück, wo sie Ruhe vor dem strengen Hofprotokoll findet, sie liest Rousseau, pflegt einen bescheidenen Lebensstil und trägt entsprechende Kleidung: schlichte, weiße Kleider ohne Korsett, das Haar nur locker im Nacken zusammengebunden. Sie nimmt ihre Rolle als Mutter an und lässt das exzessive Partyleben hinter sich.

Szene aus Marie Antoinette Szene aus Marie Antoinette (Coppola, USA/FR/JP 2006, SPHE)
Aber leider ist es zu spät. Das unter Armut und Hunger leidende Volk hat ein miserables Bild von seiner jungen Königin; ein Umstand, der mit den historischen Gegebenheiten übereinstimmt. Im Making Of zu Marie Antoinette drückt es der Produzent so aus: "Marie Antoinette war das erste Opfer schlechter PR." Und da ist durchaus was dran: "Sollen sie doch Kuchen essen" - der Ausspruch der Königin ist bis heute legendär - hat wohl aber nie so stattgefunden. Auch Sofia Coppola inszeniert die entsprechende Szene im Film als irreal: Marie Antoinette ist anders gestylt als im übrigen Werk, sie trägt schwarzen Lippenstift und ihr opulentes Collier spielt auf die sogenannte Halsbandaffäre an, in der sie nach neueren historischen Erkenntnissen ebenfalls eher eine Opferrolle spielte. Die Sequenz ist kurz, und direkt im Anschluss sehen wir wieder die gewohnte Marie im Kreise ihrer Hofdamen: "Das ist so ein Unsinn! Ich würde so etwas nie sagen!" echauffiert sie sich.

Kirsten Dunst in Marie Antoinette (Coppola, USA/FR/JP 2006, SPHE)
Das Volk nimmt es zwar nicht hin, aber Sofia Coppola zeigt ihre Protagonistin in Marie Antoinette als eine Frau, die letztlich auch politisch Verantwortung übernimmt und sich konsequent zu ihrer Rolle und ihrer Familie bekennt. Als die Lage brenzlig wird und die mordlustige Meute in den Vorhof von Versailles gelangt, entscheidet sie, nicht zu fliehen sondern stattdessen an der Seite ihres Mannes zu bleiben. Während von draußen wütende Rufe hereinhallen und die ersten Steine fliegen, haben ihre Roben all ihre jugendlich-dekadente Raffinesse eingebüßt. Kostümbildnerin Milena Canonero zeigt Marie Antoinette nun in gedeckten, zurückhaltenden Farben: rauchblau, ein trauriges mauve. Zuletzt sehen wir sie in einem praktischen grauen Reisekleid, als sie mit ihrem Mann im Morgengrauen in eine Kutsche steigt, und Versailles letztlich doch verlässt. Es bleibt ihr nichts anderes übrig. In Sofia Coppolas Werk ist Marie Antoinette keine eiskalte Modequeen, sondern ein Produkt ihrer Zeit und ihrer persönlichen Geschichte. Der Film gibt uns nicht direkt ein Bild der Königin, sondern zeigt uns, wie andere Menschen sie im Laufe der Jahrhunderte gesehen haben.

Jason Schwartzman und Kirsten Dunst in Marie Antoinette (Coppola, USA/FR/JP 2006, SPHE)

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