Sonntag, 7. April 2013

ANTONIONIS L'AVVENTURA: PRÄSENZ DURCH ABSENZ!

Monica Vitti in L'avventura (Antonioni, IT/FR 1960, Mediaset)
Nach den Filmen von Michelangelo Antonioni müsse er immer gleich schlafen gehen, erzählte einer meiner Dozenten im Seminar über das italienische Kino der 1960er. Er bekäme sonst depressive Phasen. Schade, dachte ich mir. Denn bei aller schwermütigen Melancholie sind Antonionis Bilder schlicht viel zu ästhetisch, um letztlich nichts als deprimierend zu sein. L'avventura ist der erste Film der Italien-Trilogie und auch er wird konsequent mit den typischen Antonioni-Interpretationen bedacht: Entfremdung, Überforderung, Beziehungsunfähigkeit. Nö, reicht mir nicht. 

Bei einem Yachtausflug auf eine kleine äolische Insel verschwindet eine junge Frau namens Anna (Lea Massari). Ihr Freund Sandro (Gabriele Ferzetti) und die beste Freundin Claudia (Monica Vitti) begeben sich sofort auf die Suche. Als sich aber zwischen den beiden eine Beziehung entwickelt, fürchten sie beinahe, Anna wiederzufinden. Auch die Protagonisten werden in allerhand Interpretationen vor allem mit einem bedacht. Mit dem Prädikat: beziehungsunfähig.

Monica Vitti und Gabriele Ferzetti in L'avventura (Antonioni, IT/FR 1960, Mediaset)
Gut, Claudia und Sandro hätten sich wahrscheinlich schon eine einfachere Beziehung suchen können - unfähig sind sie deshalb aber noch lange nicht. Vielmehr bilden sie im Verlauf von L'avventura eine Allianz, mit der sie gemeinsam die Welt meistern. Ein genauer Blick auf die einzelnen Szenen enthüllt: in Schwierigkeiten kommen Claudia und Sandro nur, wenn sie allein sind. Ob sie in eine Meute bedrohlich gaffender Männer gerät, im Hotelzimmer in Depressionen verfällt, ob er in eine Prügelei mit einem jungen Architekten verwickelt, oder von einer substanzlosen Schauspielerin beinahe verführt wird - auf sich gestellt machen beide keine gute Figur. Gemeinsam hingegen zeigen sie Gefühl, führen tiefgründige, reflektierte Gespräche, lachen und raufen sich immer wieder zusammen. Doch nicht so beziehungsunfähig wie gedacht. 

Schlussszene aus L'avventura (Antonioni, IT/FR 1960, Mediaset)


Aber neben Claudia und Sandro gibt es ja auch noch den Handlungsstrang um Anna. Zwar verschwindet sie nach etwa 30 Minuten aus dem Film, diese kurze Zeit dominiert sie jedoch mit einigen interessanten Dialogzeilen. Nicht nur ist sie die erste, die die unwirtliche Insellandschaft, diesen Nicht-Ort der Lisca Bianca betritt, sie sagt auch Sätze wie diesen: "But it's easy too because you can just think what you like when you like, do you see? Whereas when somebody's there facing you... that's all you get." Fernbeziehungen stören sie nicht, und somit anscheinend auch nicht die Idee von Abwesenheit. 

Vielleicht lässt sich Anna also als eine Art Vorreiterin begreifen, die sich bereits in einem fortgeschritteneren persönlichen Entwicklungsstadium befindet als Claudia und Sandro. Denn um ehrlich zu sein... Wen verlässt sie da schon?  

Szene aus L'avventura (Antonioni, IT/FR 1960, Mediaset)
Der Freundeskreis auf Yachtausflug steht in L'avventura gewissermaßen emblematisch für Antonionis Sicht auf die Gesellschaft. Da haben wir zum Beispiel eine verklemmte Prinzessin, die ihren Dackel und ein Puzzlespiel unter Deck der Sonne des äolischen Archipels vorzieht. Oder einen verbitterten Ehemann, der den Ausflug damit verbringt, die Augen über seine hochgradig seichte und naive Gattin zu verdrehen. Genau genommen ist es kein Verlust im engeren Sinne, sich von diesen Menschen zu entfernen. 

Und auch  abseits dieser konkreten Figuren ist es doch so: Antonioni stellt das Italien der 60er Jahre mit seinen Menschen, seiner Lebensweise als nicht besonders lebenswert dar. Ist es also wirklich so furchtbar, aus dieser Welt zu verschwinden? Möglicherweise befindet sich Anna längst an einem viel besseren Ort.

Gabriele Ferzetti und Lea Massari in L'avventura (Antoniono, IT/FR 1960, Mediaset)
Das Verschwinden zieht sich durch Antonionis komplette Italienische Trilogie - in der L'avventura nicht umsonst am Anfang steht. Die Filmreihe beginnt mit einem Verschwinden, sie endet aber auch mit einem. Am Schluss von L'eclisse verabredet sich das Protagonistenpaar (Monica Vitti und Alain Delon). Die beiden tauchen aber nicht auf. Stattdessen zeigt der Regisseur leere Straßen. Nun ja, vielleicht nimmt das Paar Abstand voneinander. Vielleicht ist es aber auch nur verschwunden - an den selben Ort, an den Anna zwei Filme zuvor vorausgeeilt ist. Schließlich könnte man wie den Film selbst auch das Paar aus L'eclisse durchaus als lockere Fortsetzung von L'avventura betrachten.

Was bliebe also festzuhalten? Nein, Michelangelo Antonioni hat nicht einfach selbstzweckartig melancholische Filme gedreht. Zuversicht, Humor und Leichtigkeit stecken auch in seinen Werken - man muss eben nur ein bisschen genauer hingucken.

Schlussszene aus L'eclisse (Antonioni, IT/FR 1962, Mediaset)

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